• Dahlien im Bauch von Paris

    Emile Zola: Der Bauch von Paris

    Erstes Kapitel

     Karren Inmitten der tiefen Stille zogen durch die menschenleere, ansteigende Allee die Karren der Gemüsegärtner nach Paris mit dem gleichmäßigen Kreischen ihrer Räder, dessen Widerhall an die Mauern der Häuser schlug, die zu beiden Seiten der Straße hinter den verschwommenen Linien der Ulmen in nächtlicher Ruhe dalagen. An der Brücke von Neuilly waren ein Karren Kohl und ein Karren Bohnen zu den acht Karren weißer und gelber Rüben gestoßen, die von Nanterre kamen; die Pferde gingen allein gesenkten Kopfes mit ihrem ausdauernden, trägen Schritt, den der ansteigende Weg noch verlangsamte. Auf ihrer Gemüseladung oben, zugedeckt mit ihren schwarz und grau gestreiften Mänteln, schlummerten die Kärrner mit den Zügeln in der Faust. Trat ein Wagen aus einem in Schatten liegenden Straßenabschnitt heraus, dann beleuchtete das Gaslicht die Nägel eines Schuhes, den blauen Ärmel einer Bluse, die Spitze einer Mütze mitten unter den riesigen Bündeln roter und weißer Rüben, dem überquellenden Grün der Bohnen und der Kohlköpfe. Und auf der Straße wie auf den benachbarten Wegen, vorwärts und rückwärts kündigte das ferne Knarren von Fuhrwerken gleiche Züge an, einen ganzen Markt, der durch die Dunkelheit und den Schlaf der zweiten Morgenstunde sich bewegte und die im Schatten liegende Stadt in dem Geräusch dieses Zuges von Nahrungsmitteln wiegte. (...)

    In den großen, bedeckten Gängen ward es immer lebendiger. Längs der Fußwege an den beiden Rändern legten noch immer Küchengärtner, kleine Landwirte aus der Umgebung von Paris, auf Körben ihre Ernte vom gestrigen Abend zum Verkauf aus, einige Bunde Gemüse, einige Handvoll Obst. Inmitten des unaufhörlichen Kommens und Gehens der Menge fuhren Wagen unter den Gewölben ein und verlangsamten den widerhallenden Trab ihrer Pferde. Zwei dieser Wagen, die man in die Quere gestellt und so gelassen hatte, versperrten den Weg. Um vorbeizukommen, mußte Florent sich auf einen der grauen Säcke stützen, die Kohlensäcken glichen und unter deren ungeheuerer Last die Achsen sich bogen. Diese feuchten Säcke hatten einen Geruch von frischem Seegras; der eine war an einem Ende geplatzt, ihm entquoll ein Häuflein schwarzer Miesmuscheln. Sie mußten jetzt bei jedem Schritte stille stehen. Die Seefische kamen an; die Rollwagen folgten einander und führten hohe Holzkäfige herbei, voll mit Körben, welche die Eisenbahnen schwer beladen vom Meere herbefördert hatten. Vor den immer dichter eintreffenden Seefischkarren flüchteten sie unter die Räder der Butter, Eier und Käse führenden Wagen, große, gelbe, vierspännige Fuhrwerke mit farbigen Laternen; kräftige Arme hoben die Eierkisten, die mit Butter und Käse bepackten Körbe ab und trugen sie nach dem Ausrufpavillon, wo Beamte in Dienstkappen die anlangenden Waren bei dem Gaslichte in kleinen Heften verzeichneten. Claude war entzückt über diesen Lärm; bei einer neuen Lichtwirkung, bei einer Gruppe von Trägern, bei dem Abladen eines Karrens konnte er längere Zeit verweilen. DahlienEndlich rissen sie sich los. Da sie noch immer den großen Mittelweg entlang schritten, gingen sie inmitten eines köstlichen Duftes, der sie umschwebte und ihnen zu folgen schien. Sie befanden sich auf dem Blumenmarkte. Auf den Quadern rechts und links saßen Frauen mit viereckigen Körben, die mit Rosen-, Veilchen-, Dahlien- und Maßliebchensträußen gefüllt waren. Die roten Rosen dunkelten wie Blutflecke, die weißen schimmerten in zartem Silbergrau. Neben einem dieser Körbe war eine Kerze angezündet, die auf all das Schwarze ringsumher helle Töne warf, die bunten Farben der Vergißmeinnichte, das Blutrot der Dahlien, das Blau der Veilchen, die helle Fleischfarbe der Rosen. Man konnte sich nichts Lieblicheres, nichts Lenzhafteres denken, als das Zarte dieses Duftes, dem man auf einem Fußweg begegnete, nach den scharfen Gerüchen der Seefische und dem Mißduft der Käseabteilung.

    Claude und Florent machten kehrt und verweilten unter den Blumen. Neugierig blieben sie vor den Frauen stehen, die regelmäßig gebundene Farrenkraut- und Weinlaubbüschel verkauften. Dann bogen sie in einen fast noch menschenleeren Gang ein, wo ihre Tritte widerhallten wie unter dem Gewölbe einer Kirche. Biedere DahlienHier fanden sie einen kleinen Karren, mit einem ganz kleinen Esel bespannt, der sich ohne Zweifel langweilte und so laut und ausdauernd zu brüllen anfing, daß das Riesendach der Hallen davon erzitterte. Pferdegewieher antwortete darauf. In der Ferne hörte man ein Stampfen, ein Getöse, das anstieg, vorüberzog und sich wieder verlor. Gegenüber in der Hirtenstraße zeigten die weit geöffneten, kahlen Läden im grellen Gaslichte Haufen von Körben und Früchten zwischen den drei schmutzigen Mauern, die mit Rechnungen über und über bedeckt waren, die man mit dem Bleistifte darauf gekritzelt hatte. Während sie da standen, sahen sie eine fein gekleidete Dame, die in seliger Erschlaffung, in die Ecke eines Fiakers gedrückt saß, der durch dieses Gewühl von Menschen und Fuhrwerken sich gleichsam hindurchstahl.

    Aschenbrödel kehrt ohne Pantoffel heim, sagte Claude lächelnd.


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